Sonntag, 25. Oktober 2020

Spieglein, Spieglein in der Hand

 In einem der Standardwerke für historische Darsteller, den „Dress Accessories 1150-1450“ von Geoff Egan und Frances Pritchard, erschienen beim Museum of London, tauchen kleine Klappspiegelchen aus Bronze und Zinn auf. Die „cased mirrors“. 

Das Bild zeigt 3 kleine Spiegel, links aus dem Buch Dress Accessories, ein Original im Museum of London, rechts ein auf die Seite des Buchs gelegtes Original aus einer Privatsammlung, in der Mitte eine Replik in Bronze
                        Links: ein Original aus den Dress Accessories; Mitte: eine Replik; Rechts: ein Original aus Privatsammlung                                             

Diese Spiegel sind, obwohl scheinbar alleine in England in großen Mengen im Fundgut erhalten, kaum publiziert und finden sich nur bei sehr wenigen historischen Darstellern. 

Aber was wissen wir überhaupt über diese Spiegelchen?

„Dress Accessories“ schreibt auf Seite 365: 

„One thousand mirrors were among the goods brought by ship, probably from the Low Countries, to London in 1384 (Byley et al. 1984, 401-02).“

Also wurden 1000 solcher Spiegelchen gegen Ende des 14. Jahrhunderts aus den „Low Countries“, den heutigen Niederlanden und/oder Belgien, nach London transportiert. Diese Menge erklärt auch die heutige Fundlage in England, denn sowohl in englischen Museen, als auch bei Privatsammlern, dem Portable Antiquities Scheme (finds.org.uk) oder der Rosalie Gilbert Collection (http://www.thegilbertcollection.com/) findet sich eine große Zahl der kleinen Spiegelchen aus Bronze, welche laut Dress Accessories tendenziell in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datieren, wohingegen die früheren aus Zinn gewesen sind.

Somit wurden diese Spiegel importiert, nicht in England hergestellt, wie zunächst zu vermuten gewesen wäre, aufgrund der hohen Fundmenge. 

Als Spiegelfläche wurde ein gewölbtes Glas verwendet, zumindest laut den „Dress Accessories“ und einem Original aus einer Auktion von „Hanson Auctioneers and Valuers“ vom 22.03.2017. Womit das Glas belegt war, ob bedampft oder begossen, ist aus der Literatur nicht zu entnehmen. Eventuell war es eine Legierung aus Blei und Zink, die angeblich im 13. Jahrhundert in Murano Verwendung fand (laut www.spiegel-info.de; eine Quellenangabe hierzu fehlt). 

Die Herstellung der Bronzedose, oder im wohl früheren Kontext der aus Zinn, hingegen ist sehr klar. Die Dose an sich wird gegossen, die Verzierung bei den Bronzedosen danach eingeprägt. Dies geschieht mit einem kleinen Metallstempel und einem Hammer. 

Das Bild zeigt Arme in Kleidung des 14. Jahrhunderts, die einen Metallstempel und einen Hammer halten. Unter dem Metallstempel liegt ein Spiegel auf einem kleinen runden Amboss. Der Spiegel ist zur Hälfte mit kleinen Dreiecken in geschwungenen und geraden Linien verziert.

                                    Die Verzierungen werden mittels Metallstempel eingeschlagen.

Die Befestigung der Spiegel in den Gehäusen wird glücklicherweise auch in den „Dress Accessories“ beschrieben. Die Masse, die sich oft noch als Reste erhalten hat, obwohl die Spiegelgläser verloren sind, wird als „...cement that occasionally survives as calcium carbonate.“ (Dress Accessories, Seite 358) beschrieben. 

Kalziumkarbonat, oder auch Schlämmkreide, ist überwiegender Bestandteil in Fensterkitt, der schon seit Jahrhunderten zur Herstellung bspw. von Bleiverglasungen verwendet wird. Einzige weitere Zutat ist Leinöl oder Leinölfirnis. Diese klebrige Masse ist farblich leicht beige und ähnelt optisch stark den Resten in erhaltenen Spiegeln. Ein erster Versuch Leinölfensterkitt zu verwenden hat überzeugende Ergebnisse gebracht. Die Spiegelchen, wenn auch keine gebogenen, halten gut, auch ohne modernen Kleber. 

Ein aufgeklappter kleiner Taschenspiegel mit 2 Spiegelflächen, die mit Leinölfensterkitt, einer historischen Klebe- und Dichtmasse, in die Spiegeldose eingeklebt wurde, liegt auf einem Holztisch
                            Eingeklebte Spiegel, man erkennt am Rand die Reste des Leinölfensterkitt

Die gute Fundlage in England könnte nun bedeuten, dass diese Spiegel ausschließlich für den dortigen Markt hergestellt wurden. Zumindest laut „Dress Accessories“ und einzelnen anderen Funden, dürfte dies aber nicht der Fall gewesen sein. So schreibt „Dress Accessories“, dass die Spiegel unter Umständen ein Massenprodukt waren, welches aus hochwertigen, emaillierten französischen Originalen des späten 13. Jahrhunderts hervorgegangen sein könnten und verweist auf „Swarzenski and Netzer, 1986, Catalogue of Medieval Objects“. 
Zudem gibt es zumindest ein Original aus der Sammlung Boijmans in den Niederlanden und eines im Museum in Turku, Finnland. Über Hinweise zu weiteren Originalen in Publikationen oder Museen würden wir uns sehr freuen. 

Quellen: 
„Dress Accessories“ von Geoff Egan und Frances Pritchard