Samstag, 5. Oktober 2019

Der mysteriöse Holzschuh - der gar keiner ist.

Alle Jahre wieder. Nein. Da kommt nicht der Weihnachtsmann. Sondern: ich werde von jemandem angesprochen, er habe endlich den lang ersehnten Beleg für Holzschuhe gefunden.

Präsentiert wird mir dann gerne folgendes:
https://www.beleefarcheologie.nl/vondsten/klomp/

Ohne dies in einen Gesamtkontext zu setzen erscheint es wirklich wie eine frühe, etwas andere Holzschuhform. Aber: Was war es wirklich? Und was kann man noch dazu sagen?

Die Herangehensweise ist aus dem Wunsch getrieben etwas belegen zu können, was man gerne nutzen will. Einen Beleg für etwas aus der heutigen Zeit zu finden. Für etwas, das unbestreitbar praktisch ist um nachts sein Zelt verlassen zu können und das Dixie aufzusuchen. Eine Lösung also für allzu moderne Probleme.

Bei Forschung und Quellenkritik ist allerdings der Blick aus der anderen Richtung gefragt: Was findet sich an weiteren Funden, Abbildungen, mit Glück sogar Schriftquellen? Was kennen wir in ausreichender Beleglage und passt es in diesen Kontext?

Was euch alle glücklich stimmen wird: Es gibt weitere Funde. In „Funde aus der Lübecker Altstadt II“ zum Beispiel einen ins 14. Jahrhundert datierten Fund und Verweise auf einen aus Amsterdam, sowie weitere Exemplare aus Oldenzaal, Kamen und Zwolle (15.-17. Jahrhundert).

Was viele nicht freuen wird: Nein, es sind keine Holzschuhe. Es sind Trippen. Zum einen kennen wir auch weitere oben geschlossene Trippen, hier besteht nur der Sohlenteil aus Holz, die Kappe ist ein geschlossenes Leder. Zum anderen ergibt sich diese Erkenntnis schlicht durch die Hinzunahme einer weiteren Quellengattung: Der Abbildung.

Im „Horae ad usum Parisiensem“, einer französischen Handschrift des späten 15. Jahrhunderts finden wir diesen Bildausschnitt:


Zweifelsfrei trägt die hier gezeigte Person Lederschuhe...und...unsere gesuchte Holztrippe. Mittels einer zweiten Quellengattung konnten wir also den Fund in den Nutzungskontext setzen. Fernab vom heutigen Bedarf und Bedürfnis. 

Natürlich ist nicht auszuschließen, dass mal jemand nachts nur in die Trippe schlüpfte und zum Abort lief. Dennoch ist die eigentliche und primäre Verwendung die einer Trippe. Und die Form, gerade mit den Stegen unten drunter, spricht zum einen klar für die äquivalente Verwendung der in großer Vielzahl gefundenen normalen Trippen, als auch gegen einen Vergleich mit dem modernen Klompen. 

Kommen wir zum nächsten Bezug, den man zwingend in der Quellenkritik herstellen sollte: Die Herkunft der Funde. 
Sämtliche „frühen“ Funde stammen aus norddeutschen oder niederländischen Städten. Die Herkunft des oben genannten französischen Manuskriptes ist unklar, wird aber in die französische (Nord-)Küstenregion gedeutet. Im Gegensatz dazu kennen wir aus dem gesamten mitteleuropäischen Verbreitungsgebiet und darüber hinaus Trippen bestehend aus Holzsohle und Lederoberteil. Eine flächendeckende Verwendung fällt damit also tendenziell aus. 

Gegen die massenhafte und flächendeckende Verwendung spricht auch die Menge der Funde. Während Holztrippensohlen in nahezu jedem städtischen Gebiet gefunden wurden, in dem in irgendeiner Form Holz erhalten ist (was häufiger der Fall ist, als die „wurdedochallesverbrannt“ Theoretiker sagen), gibt es für die „Holzschuhtrippe“ nur einige wenige Funde aus mehreren Jahrhunderten. 

Abschließend greife ich eine Theorie auf, die auch Birthe Haak bzgl des Fundes in Lübeck ausgesprochen hat: Der Klompen, wie wir ihn heute kennen, hat möglicherweise seine Entwicklung aus dieser Trippe genommen. 
Gegeben hat es ihn im hohen bis späten Mittelalter aber, mit hoher Wahrscheinlichkeit, nicht in der heutigen Form.

Quellen:
Lübecker Schriften zu Archäologie und Kulturgeschichte - Band 33
Stepping through time, Archaeological footwear from prehistoric times until 1800, Olaf Goubitz, u.a. 2001



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